Verfolgung der Kirche [7]

„Die Religion ist das Opium des Volkes“- dieser Ausspruch von Marx ist der Eckpfeiler der ganzen Weltanschauung des Marxismus in der Religionsfrage.
Ein erschreckendes Beispiel für das grundsätzlich terroristische Verhältnis der Kommunistischen Partei zu Kirche und Religion war die Sprengung der Kathedrale „Hl. Nedelja“ am 16.April 1925 in Sofia, unter deren Ruinen 213 Gläubige ‒ Männer, Frauen und Kinder ‒ starben und über 500 verwundet wurden.
Unter den Tausenden Ermordeten ohne Untersuchung und Gerichtsurteil in den ersten Tagen nach der Machtergreifung der Kommunisten am 9. September 1944 gab es auch eine große Zahl von Priestern, deren einzige „Schuld“ darin bestand, dass sie der Kirche dienten und christliche Moral und Ethik verkündeten.
Inzwischen sind schon die Namen von über einhundert ermordeten orthodoxen Priestern sowie des Rabbiners Issak B. Levi, des moslemischen Geistlichen Mehmed Raschidov, des armenisch‒gregorianischen Priesters Garabed S. Karadzhan, des protestantischen Pfarrers Stefan Todorov ermittelt worden.
Am 16. Februar 1949 wurde „Das Gesetz zur Religionsausübung“ veröffentlicht. Es wiederholte nichts anderes als den Inhalt und Ungeist des entsprechenden sowjetischen Gesetzes. Mit ihm wurde die völlige Kontrolle über die religiösen Institutionen und Kirchen des Landes eingeführt. Gottesdienste außerhalb der Kirchen wurden verboten, kirchlicher Besitz wurde konfisziert, das religiöse Leben stark eingeschränkt. Wegen Anwesenheit in einer Kirche während des Gottesdienstes oder nur für das Betreten eines Gotteshauses wurden Schüler und Studenten aus Schulen und Universitäten ausgeschlossen, Angestellte und Beamte bestraft oder entlassen.
Ab 25. Februar bis 9. März 1949 wurde der Gerichtsprozess gegen 15 protestantische Pastoren durchgeführt, vier von ihnen wurden zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Am 11. November 1952 um 23:30 Uhr wurden im Zentralen Sofioter Gefängnis vier zum Tode verurteilte Priester der Katholischen Kirche – drei des Ordens der Mariä Himmelfarht (die Pater Kamen Vitchev, Pavel Djidjov, Josafat Schischkov) sowie Monsignore Evgenij Bosilkov – exekutiert.

Noch im Jahr 1984 wurde mit Beschluss des Politbüros der Bulgarischen Kommunistischen Partei eine Kampagne zur Zwangsumbenennung aller bulgarischen Moslems durchgeführt.

Gleichzeitig mit den gesetzlichen und administrativen Einschränkungen wurde auch der Druck seitens der geheimen Dienste verstärkt. Er äußerte sich in der vermehrten Anwerbung von Spitzeln unter den Geistlichen.

Die bulgarische orthodoxe Kirche sowie die katholische und protestantische wurden zum gesonderten Spezialobjekt für Operationen der Abteilung „Geistlichkeit und Sekten“ der I. Hauptabteilung der Staatssicherheit. Deren Aufgabe war der „Kampf gegen die Konterrevolution“.

1949 gab es in dieser Abteilung insgesamt 20 aktive Bearbeitungsfälle, 24 vorläufige Untersuchungen und 240 Fälle zur operativen Beobachtung, die von 339 Agenten bearbeitet wurden. Im Jahr 1981 bearbeiteten von insgesamt 5000 Agenten der Hauptabteilung VI der Staatssicherheit 278 die bulgarische orthodoxe Kirche, die katholische Kirche und die protestantische.
1989 – gegen Ende des kommunistischen Regimes in Bulgarien – verdoppelte sich die Zahl noch einmal.

Zwangsaussiedlung


Deklaration
Ich, der Unterzeichner Dimitar Asparuchov Kolarov, deklariere, dass ich die mir angebotene Zusammenarbeit seitens der Staatssicherheit, eine Verpflichtung, interessante für die Staatssicherheit Informationen mitzuteilen, nicht annehme. Ich deklariere, dass ich alles was wir in der Staatssicherheit gesprochen haben, streng geheim halten werde, widrigenfalls schwerste Bestrafung erleiden werde. 19. 10. 1949 (Unterschrift)
Privatarchiv

Als Straf- und Vorbeugungsmaßnahme gegen die Regimegegner und ihre Verwandten, gegen Bürger, die die Maßnahmen und Methoden der neuen Macht nicht billigten oder wegen angeblicher Kritik daran denunziert wurden, waren tausende Familien unter Zwang aus der Hauptstadt, den größeren Städten und dem Grenzgebiet ausgesiedelt. Sie wurden in abgelegenen Dörfern und kleineren Städten zwangsangesiedelt, ohne das Recht, diese zu verlassen. Zwangsausgesiedelt wurden Industrielle, Anwälte, Geschäftsleute, Rechtsanwälte, Intellektuelle, entlassene Offiziere, „unzuverlässige“ Bewohner der Grenzregionen und andere, denen die BKP nicht traute.

Nach einem gemeinsamen Bericht des Vorsitzenden des Präsidiums der Volksversammlung und des Ministers des Innern an das Politbüro des ZK der BKP für den Zeitraum vom 9. September 1944 bis August 1953 wurden 7025 Familien mit 24624 Familienmitgliedern zwangsausgesiedelt. Die wirk-liche Anzahl der ausgesiedelten Familien ist höher. Im selben Zeitraum wurden aus der Hauptstadt Sofia 2548 Familien mit 5075 Familienmitgliedern verbannt, aus den Grenzregionen und Bezirksstädten 4208 Familien mit 18315 Mitgliedern.

Grund für die
Zwangsaussiedlung
Anzahl der Familien Zahl der Familien-mitglieder
Verwandschaft mit
„Vaterlandsverrätern“
(Flucht in den Westen)
2 397 9 739
Unerwünschte in Großstädten

und Grenzregionen

(„Feinde des Volkes“)

4 359 13 651
andere Gründe 169  1 224
Gesamt 7 025 24 624

Streng-vertraulicher Befehl des Ministers für Innere Angelegenheiten G. Tzankov, Sofia, März 1953:
„Mit dem Ziel der Säuberung von Großstädten und der Grenzgebiete von feindlichen Elementen und zum Abbruch der Verbindungen zwischen Heimatverrätern mit ihren Familien in diesen Rayons befehle ich: Streng geheim soll die Zwangsaussiedlung der Familien der Vaterlandsverräter und der Nichtrückkehrer, wohnhaft in Sofia, Stalin(Varna), Burgas und Plovdiv sowie in den Grenzzonen und deren Internierung in den neuen Wohnorten im Inneren des Landes vorbereitet werden.
Für dieses Ziel sollen die Milizchefs in der Hauptstadt und den Bezirken alle Familienmitglieder der Vaterlandsverräter in diesen Gebieten feststellen und mir spätestens bis zum 20. März 1953 einen Vorschlag für deren Zwangsaussiedlung zur Unterschrift vorlegen.“

Die Zwangsaussiedlungen wurden zur Zeit der Ungarn-Aufstands im Jahr 1956 wieder aufgenommen.

Soziale Stellung der
zwangsausgesiedelten Familien
Anzahl %
Bauern Mittelstand 2418 37.4
Bürgerliche Herkunft 1757 26.7
Arme Bauern 784 11.9
Großbauern, s.g. „Kulaken“ 710 10.8
Mittlere städtische Herkunft 475 7.2
Angestellte 210 3.2
Arbeiter 93 1.4
Handwerker 78 1.1
Arme städtische Herkunft 65 1
6590 100

Zwangsaussiedlung einer Familie: “Im Namen des Volkes und der Volksrepublik Bulgarien…. hat die Wohnungskommission
beschlossen, Dimitar A. K. ein Zimmer, Küche, Abstellraum und Keller… in der Gegend Katchitza einzuquartieren….
Der Beschluss ist entgültig und kann nicht angefochten werden.“
Privatarchiv

>> Der bewaffnete Untergrundkampf der Gorjani [8]

Die Sofioter Kathedrale „Sw. Nedelja“ nach dem kommunistischen Attentat 1925,
Privat Archiv